Das Cynefin Framework ist ein manchmal unterschätzte Werkzeug für Entscheidungen, vor allem in Teams und Organisationen. In diesem Kapitel geben wir alles, damit du dich in dieses Konstrukt verliebst und es anwenden kannst für deine Entscheidungs-Situationen.
Starten wir bei der Tatsache, dass wir dazu neigen, unsere Entscheidungen als einfache Situationen zu betrachten. Was ist so schwer daran zu entscheiden, welches Kleid ich heute trage? Oder was ich heute Abend tun möchte?
Die neue, 2020 von Dave Snowden aktualisierte Version des Frameworks bringt zwei wesentliche Änderungen mit sich. Zum einen haben nun alle fünf Habitate einen Namen, der mit C anfängt: clear, complicated, complex, chaotic, confusion. Zum Anderen wird die Bedeutung des fünften Habitats (Confusion) auch den zusätzlichen Buchstaben „A“ hervorgehoben. A steht dort für „anoretic“ oder „ratlos“. Damit zeigt das Modell schon mal, wie wichtig es ist, anzunehmen, dass wir manchmal wirklich einfach nur nicht wissen, in welche Kategorie unser Problem oder unsere Frage gehört. Und dass es OK ist, eine Weile in dieser Konfusion zu verweilen.
Für deinen Entscheidungsprozess könnte das bedeuten: es ist OK, sich nicht immer sofort entscheiden zu können.
Kontextualisierung deines Problems
Das Cynefin Framework ist eine wunderbare Möglichkeit, deine Entscheidungen zu strukturieren und – vor allem in Teams – schneller zu einer Entscheidung zu kommen. Dazu kannst du Folgendes machen.
Schreibe auf Klebezettel/Karten alle möglichen Aspekte der Entscheidung-Situation. Bringe alle Klebezettel/Karten auf eine Fläche (Wand/Tisch). Teile die Fläche in vier Habitate (clear, complicated, complex, chaotic) auf. Nimm an, dass da, wo die Klebezettel/Karten sich jetzt befinden, das fünfte Habitat (confusion) ist und gehe dann an die Arbeit.
Sortiere die Aspekte einem der vier Habitate außerhalb der Confusion zu nach folgenden Kriterien:
ist der Aspekt klar/offensichtlich, sind die Dinge eng miteinander verbunden und gibt es eine Best Praxis? => clear
(Ich weiß ganz genau, wie das Wetter heute ist und was ich heute tue, ziehe ich das blaue Kleid an)
gibt es für diesen Aspekten eine bekannte Antwort oder eine Lösung, für die Lösung wird aber ein Experte benötigt? => complicated (Ich sehe, wo das Rohr einen Wasserleck hat, kann das aber nicht selbst reparieren, also rufe ich einen Klempner an.)
es gibt verschiedene mögliche Ansätze, du bist nicht sicher, was funktionieren wird, und niemand sonst hat eine Antwort auf das Problem? => complex (Wir wissen noch nicht genau, was unsere Leser von diesem Handbuch der Entscheidungen erwarten, also schreiben wir es iterativ und arbeiten das Feedback und die Wünsche der ersten Leser kontinuierlich ein – statt mit einem Verlag und einem festen Termin arbeiten.)
wenn es sich um eine totale Krise handelt und du von ihr überwältigt bist: => chaotic (Wer jetzt sofort an die Corona-Krise denkt, dem empfehlen wir, eine zweite gedankliche Runde zu drehen. Die Tatsache, dass wir Corona als eine chaotische Situation betrachten wollen, ist ein Indikator dafür, dass wir in Konfusion und ratlos sind. Und genau hier mit dem Aufschreiben der verschiedenen Aspekte auf Klebezettel/Karten beginnen sollten.)
Wenn du nicht herausfinden kannst, in welchen Bereich du einen Aspekt einordnen sollst, lasse ihn vorerst in der Mitte. NICHT JEDER BEITRAG, MUSS IN DIE VIER ÄUßEREN BEREICHE GEHEN.
Und noch ein Hinweis: Du brauchst das Cynefin Framework nicht zu benutzen, wenn du nicht ratlos bist. Ratlosigkeit und Konfusion ist quasi das Eintrittsticket in das Arbeiten mit Cynefin, nicht andersrum.
Zweiter Schritt
Nun hast du vier oder fünf Wolken mit Aspekten vor dir.
Betrachte zuerst die Bereiche „clear“ und „complicated“ und entscheide Z.B. mit Hilfe von Eisenhower-Modell, was jetzt sofort wichtig und dringend ist und entweder von dir oder von einem Experten erledigt werden soll. Eventuell sind die Aufgaben klein oder es entstehen kleine Projekte daraus.
In dem Bereich „complex“ empfiehlt es sich eine Unterscheidung zwischen Aspekten mit mehr oder weniger Einschränkungen zu machen. So sind z.B: Zeitzonen eine starke Einschränkung, wenn wir in globalen Teams zusammen arbeiten. Die Aufgabe dagegen, die Rückmeldungen unserer Leser in dieses Handbuch einzuarbeiten, ist nur zwischen Tobias und Nadja zu bearbeiten, und wir werden nach und nach einen Weg finden, diese Arbeit möglichst effektiv und elegant zu meistern.
Du siehst, das Feld „complex“ birgt eine Menge zusätzlicher Arbeit mit sich, wenn es um Entscheidungen geht. Wenn wir genauer betrachten, wie unsere Einschränkungen aussehen und wer diese setzt, kommen wir in den meisten Fällen leichter zu einer Entscheidung. An dieser Stelle verweisen wir sehr gern auch auf das Effectuation Modell, welches im Fall von viel Ungewissheit und vielen Einschränkungen einen Weg aufzeigt, trotzdem produktiv und zufrieden zu sein.
Falls du tatsächlich Klebezettel/Karten im Feld „chaotic“ hast, hast du hoffentlich nicht bis hierher gelesen und gewartet, dass wir dir sagen, was zu tun ist. Wenn es wirklich eine Krise ist und die Dinge um dich herum absolut chaotisch sind, dann komme zurück zu deinen Cynefin- Zettelwolken, wenn sich das gelöst hat.
Wie gehst du nun mit den Zetteln um, die in der Mitte geblieben sind – im Feld „confused/aporetic“? Hier ist Haltung gefragt. Wenn du nicht weißt, ob du mit dem Corona-Virus infiziert bist und keine Möglichkeit hast, diese Antwort zu erhaltenen eil du (aus irgendwelchen logistischen Gründen) nicht getestet werden kannst, dann hilft nur: Geduld, Gelassenheit und Abwägen deiner Handlungen mit dem Wissen dass beide Realitäten möglich sind. Die Entscheidungen zu treffen sollte auch so noch möglich sein, weil du im Zweifelsfall von schlimmsten zu vermeidenden Konsequenzen auszugehen hast Oder das Ganze positiv auffasst und dich mit dem Gedankenexperiment der Schrödingers Katze beschäftigst.
Zusammengefasst:
- für alle Aspekte des Problems, die sich im Feld „clear“ befinden: erledige alles, was zur Lösung führt. Im Fall Corona: denke nicht nach, ob du dir die Hände wäschst. Wasche sie mit warmen Wasser uns Seife für 20 Sekunden. Basta.
- für alles, was „complicated“ ist: mache dir einen Plan. Finde jemanden, der dir hilft. Suche nach verfügbaren Ressourcen in deinem Freundeskreis oder online. Lerne, lese, höre den Experten zu und finde dann den Lösungsweg.
- für „complex“ betitelte Aspekte musst du nach und nach ein Gefühl dafür entwickeln, was möglich ist. Anschließend ein paar Dinge ausprobieren und schauen, welche Konsequenzen das hat. Erlaube dir, deine eigenen Entscheidungen zu revidieren, ohne dich dafür zu rügen, etwas falsch gemacht zu haben. (Dies ist eine Antwort auf die Frage von Anja Blesl) So haben in der Corona-Zeit sehr viele Familien ihre neuen Routinen entwickelt, um zwei Jobs, Haushalt und Kinder unter einen Hut zu bekommen und danach immer noch verheiratet zu bleiben. Und jede Familie hat es für sich auf eigene Art und Weise gemacht, denn einen Experten oder einen Ratgeber gab es dafür nicht.
- im Chaos tust du, was die Situation von dir verlangt.
- und im fünften Feld: bedanke dich für alles, was dich verwirrt, denn so kannst du mit neuen Informationen neue Entscheidungen treffen und lernen. Möchtest du mehr lernen, versuche, ein paar der dich eingrenzenden Zwänge loszuwerden. Möchtest du mehr Stabilität, führe dir selbst paar Einschränkungen hinzu (z.B. wie viel Zeit du in den sozialen Netzwerken verbringen darfst, wann und wie viel Sport und Kalorien gut für dich sind usw.).
Wir hoffen, du hast dich in das Cynefin als hilfreiches Modell verliebt und hast dir bereits während des Lesens das eine oder andere Knoten im Kopf gelöst.